Die violette Jacke hat er immer griffbereit im Auto. Wenn Tobias Beck sie braucht, ist der Anlass immer traurig, meistens tragisch. Seit dieser Woche ist der 39-jährige Diakon und Pastoralreferent in der Steinfurter Pfarrei St. Nikomedes mit einer Viertelstelle katholischer Koordinator der ökumenischen Notfallseelsorge im Kreis Steinfurt – und dabei auch selbst im Einsatz. Die Aufgabe hat er von Eugen Chrost übernommen, der künftig als Notfallseelsorge-Koordinator für den Kreis Borken zuständig sein wird.
Beck und seine überwiegend ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen stehen Menschen bei, die durch ein schlimmes Unglück einen Angehörigen verloren, selbst gerade ein Unglück erlebt haben oder als Helfer dabei waren. Keine leichte Aufgabe, aber eine, die immer öfter von der Polizei angefordert wird. „2021 hatten wir 160, 2022 168 Einsätze – Tendenz weiter steigend“, nennt Beck Zahlen aus der Statistik, die zeigen, wie wichtig dieser Dienst ist.
„Wir kommen, wenn die anderen gehen“, umschreibt er in einem Satz den Dienst – und meint mit den anderen die Einsatzkräfte von Polizei, Notarzt und Feuerwehr. Online können sich die ehren- und hauptamtlichen Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger in einen Kalender eintragen. „Wir fahren rund um die Uhr los, wenn Polizei, Rettungsdienst oder Feuerwehr uns über die Leitstelle um Hilfe bitten“, erklärt Tobias Beck.
Was sie am Einsatzort erwartet, wissen die Notfallseelsorger meist nicht. Statt auf dem Weg im Auto zu grübeln und über mögliche Szenarien nachzudenken, hört der Familienvater zur Ablenkung seine Lieblingsmusik: „Das hilft, ruhig zu bleiben. „Jeder Einsatz ist anders“, weiß der Pastoralreferent aus Erfahrung, weil jedes Unglück anders sei. Gerufen werden die Notfallseelsorger am häufigsten nach häuslichen Todesfällen, gefolgt von Suiziden und schweren Verkehrsunfällen. Oft sollen sie dabei sein, wenn die Beamten die Todesnachricht überbringen.
Steht Tobias Beck mit der Polizei vor der Tür, ahnen viele Angehörige schon Schlimmes. Der 39-Jährige drängt sich nicht auf: „Ich biete an, bei ihnen zu bleiben, wenn sie es möchten.“ Die einen brauchen jemanden zum Reden, andere sitzen stundenlang neben ihm, die Hände vor dem Gesicht – und sagen nichts: „Dann schweige ich mit ihnen.“ Beck lässt sich ganz auf sein Gegenüber ein, hinterfragt nichts, bewertet nichts, hält alles mit aus. „Mitfühlen, aber nicht mitleiden“, das ist wichtig, betont er. Wie lange er bleibt, hängt vom Einzelfall ab. Mal reicht eine Stunde, mal vergeht eine ganze Nacht. „Ich warte immer, bis sich die Betroffenen aus der ersten Schockstarre gelöst haben. Man bekommt ein Gespür dafür, wann jemand wieder einigermaßen handlungsfähig ist.“ Das kann dauern. Wenn er geht, ist es Tobias Beck am liebsten, dass ein anderes Familienmitglied, ein Nachbar oder jemand aus dem Freundeskreis da ist: „Alleine zu sein, ist in solchen Situationen für die wenigsten gut.“
Der Glaube spielt bei den Einsätzen für die ökumenischen Notfallseelsorger immer eine Rolle: „Wenn der Verstorbene vor Ort ist, versuche ich nach Möglichkeit, dass es eine Verabschiedung gibt.“ Manchmal helfe es, mit Angehörigen eine Kerze anzuzünden oder ein Gebet zu sprechen, auch wenn diese keinen besonderen Zugang zur Religion haben.
Für Tobias Beck ist die Notfallseelsorge eine Herzensangelegenheit, wenn auch keine leichte: „Aber eine wichtige.“
Text/Foto: Bischöfl. Pressestelle
15.11.2023
Insgesamt fuhren die knapp 61 Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger der Notfallseelsorge im Kreis Steinfurt 2022 zu 168 Einsätzen, darunter Verkehrsunfälle, Suizide und das Überbringen von Todesnachrichten an Angehörige. Am häufigsten wurden sie jedoch bei häuslichen Todesfällen gerufen. Insgesamt betreuten sie im vergangenen Jahr 516 Personen, weit über die Hälfte waren zwischen 18 und 64 Jahre alt.